Partnerschaft

Tinder - ja oder nein?

Wie Tinder funktioniert oder sogar was das überhaupt ist, muss ich hier wohl keinem erklären. Wischen nach rechts oder links, sich gegenseitig schreiben und verabreden. Das ist eigentlich schon das ganze Prinzip. Die viel spannendere Frage ist für mich: Tinder ja oder nein? Denn das ist die Gretchenfrage des modernen Datings – an Tinder scheiden sich die datingwilligen Geister.

Die einen finden es toll, die anderen sehen es als Plattform für Selbstdarsteller, die möglichst viele One-Night-Stands haben wollen.

Was macht Tinder so interessant? Relativ wahllos viele Leute daten könnte man ja theoretisch auch ohne App. Im realen Leben, also nicht anonym mit Jogginghose und Chipstüte auf der Couch sitzend Bilder in Richtungen wischend, sondern im Club oder der Uni oder im Supermarkt, würde das aber vermutlich nicht so gut funktionieren. Schneller und zwangloser Kontakt mit Fremden, die man zum ersten Mal sieht – das wäre in der Realität draußen vermutlich ziemlich merkwürdig. Wenn ich das zum Beispiel in einer Bar durchziehen wollte, müsste ich ungefähr 25 Typen an einem Abend sagen, dass sie mir optisch gefallen und dann sofort zum nächsten gehen. Und für mich nicht attraktive Exemplare verbal wegwischen. Hätte vermutlich wenig Aussicht auf Erfolg! Bei Tinder dagegen ist das völlig normal. Und hat den Vorteil, dass es nicht peinlich wird: Hat man Interesse signalisiert und der andere hat aber keins, schleicht man nicht rotem Kopf nach der Abfuhr davon, sondern bekommt eben kein Match. Relativ schmerzlos.

Online ist eben vieles leichter und die Hemmschwelle kleiner. Hier kann man oder frau beim Flirten in Ruhe überlegen, was man als Antwort eintippt – gut für alle, die es nicht so mit Spontanität oder Schlagfertigkeit im Gespräch haben. Und natürlich ist man am Smartphone sooo viel mutiger! Keine umstehenden Leute, die sich bei peinlichen Flirt-Patzern über mich amüsieren. Bei Tinder kann man das Ganze schnell und effizient abbrechen, wenn es blöd wird. Außerdem wartet das nächste Match ja schon – Tinder bietet unbegrenzte Möglichkeiten und Auswahl. Hat es mit einem Typen nicht geklappt, dann habe ich schon den nächsten in der Pipeline. Das ist ziemlich verführerisch und ohne App im „realen Leben“ auch sehr schwer durchzuziehen – siehe oben.
 

Was ist noch toll? Tinder kann ein netter Ego-Boost sein. Findet mich jemand interessant oder attraktiv, dann freut sich mein Unterbewusstsein. Balsam für die Single-Seele! Und wenn man sich selber gerade so gar nicht sexy findet, kann so ein bisschen Bestätigung echt guttun.

Bleiben, damit ich dem Titel des Beitrags auch gerecht werde, ja noch die Nachteile von Tinder. Logischerweise hat Tinder das gleiche Problem wie jede Dating-App: Am Smartphone kann man viel erzählen bzw. mit Photoshop verschönern. Was bei Tinder erst mal gut klingt und aussieht, muss es nicht auch wirklich sein. Stories von Tinder-Dates, die aber mal so gar nicht so abgelaufen sind, wie sich jemand das vorgestellt hatte, kenne ich so einige: Singles, die dann doch nicht so richtig Single waren („Es ist kompliziert“), Lebensgeschichten, die bei Tinder nicht nur etwas frisiert wurden, sondern quasi eine Perücke trugen und Dates, die man fast gar nicht erkannt hat, weil Foto und Realität weiter auseinander lagen als Kiel und München.

Und dann ist da noch das Problem der Absichten. Jede Kontaktbörse ist das, was die Nutzer daraus machen. Für die einen ist Tinder eine Gelegenheit, das Ego ein bisschen zu polstern und nebenbei ein netter Zeitvertreib, wenn es langweilig ist. Dann gibt es noch Maneater und Nachwuchs-Casanovas, die gerne so viele Dates und so viel Sex wie möglich hätten. Und die, die wirklich etwas Festes auf Tinder suchen (das sagt man ja gerne den Frauen nach, es finden sich aber auch beziehungswillige Männer auf Tinder). Vielleicht gibt es auch noch mehr Kategorien von Tinderellas und Tinder-Prinzen, eins ist aber auf jeden Fall klar: Treffen Nutzer mit sehr unterschiedlichen Interessen aufeinander, wird es schwierig und/ oder kommt zu Enttäuschungen.

Ob Tinder jetzt die pure Oberflächlichkeit und der Untergang aller ehrlich geführten Beziehungen ist oder eine tolle Möglichkeit, sich einen festen Partner zu suchen und tolle Menschen kennenzulernen, kann ich nicht so einfach mit ja oder nein beantworten. Die knackige Frage in der Überschrift muss ich wohl etwas lahm mit „es ist das, was du draus machst“ beantworten. Eine gesunde Vorsicht ist wohl beim Online-Dating immer angebracht. Und ansonsten ist es gut, wenn man die Erwartungen realistisch hält – dann macht es auch Spaß.

 

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Ist Tinder der Untergang aller ehrlich geführten Beziehungen oder eine tolle Möglichkeit, sich einen festen Partner zu suchen?

Jacqueline Wilzopolski
Autorin
Jacqueline
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